Kein Frieden mit dem Imperialismus! Warum Russland in der Ukraine siegen muss
Was der Sieg Russlands bedeuten könnte
Im spezifischen Kontext des Ukrainekriegs zeichnen sich zwei maßgebliche Szenarien ab. Ein Sieg Russlands, der sich in der Durchsetzung der erklärten Kriegsziele manifestiert und in einem diplomatischen Rückzug der NATO sowie einer wirtschaftlichen Niederlage des westlichen Kapitals resultiert, würde unweigerlich die politische Autorität und die Abschreckungswirkung des westlichen Militärbündnisses untergraben. Dies könnte nicht nur Staaten in Europa, sondern auch in anderen Regionen dazu ermutigen, sich dem notwendigen westlichen Druck zu entziehen, sondern es könnte darüber hinaus auch antiimperialistischen Kräften neue Handlungsspielräume eröffnen. Die World Anti-Imperialist Platform (WAP) stellt treffend fest: „Dass die Hauptbedrohung für den Weltfrieden der Imperialismus ist, insbesondere der kriminelle, aggressive US-geführte NATO-Block, und dass wir in eine neue historische Phase eingetreten sind: eine, in der die endgültige Niederlage des Imperialismus sowohl eine reale Möglichkeit als auch eine vitale Notwendigkeit ist.“ (WAP-Erklärung, Athen-Konferenz 2023)2.
Es ist jedoch entscheidend anzumerken, dass dieses Szenario nicht ohne erhebliche Risiken für die Arbeiterklasse bleibt. Die Kommunistische Arbeiterpartei Russlands (RKAP) hat wiederholt hervorgehoben, dass die russische Bourgeoisie ihre Interessen unbarmherzig durchsetzt und dabei die unabhängige Gewerkschaftsarbeit im Inland massiv unterdrückt.
Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) befürwortet offiziell die russischen
Militäroperationen in der Ukraine und
verfolgt eine Agenda, die vornehmlich auf die Verteidigung der nationalen
Souveränität Russlands abzielt. Sie warnen eindringlich davor, dass Russland
nicht zulassen kann, erneut unter die Herrschaft einer ungestörten Ausbeutung durch das westliche
Monopolkapital zu geraten. Die russische Arbeiterklasse und die Nation dürfen nicht zurückgedrängt werden, um wieder zum bloßen
Rohstofflieferanten für die NATO
degradiert zu werden – eine solche
Ausbeutung darf nicht erneut stattfinden. Der militärische Konflikt, den Russland führt, ist daher ein nationaler Krieg,
der direkt gegen die langjährige
imperialistische Aggression gerichtet ist und eine unmittelbare Reaktion auf
Bedrohungen der nationalen Sicherheitsinteressen darstellt. Diese Reihe an
militärischen Maßnahmen zielt darauf ab, den
antifaschistischen Befreiungskampf der Donbass-Republiken zu unterstützen und gleichzeitig die NATO in
ihrem aggressiven zermürbenden Krieg
in der Ukraine zurückzudrängen. Der vorliegende Krieg stellt
einen historischen Wendepunkt dar, denn er ist der erste Konflikt einer
bedeutenden Militärmacht, der
sich aktiv gegen die Unterdrückung durch
den Imperialismus richtet.
„There are no borders in this struggle to the death. We cannot be indifferent to what happens anywhere in the world, because a victory by any country over imperialism is our victory, just as any country's defeat is a defeat for all of us.“ (Che Guevara, Speech to the Second Economic Seminar of Afro-Asian Solidarity, 1965)3
Das russische Proletariat muss in diesem Kontext das revolutionäre Potenzial dieses nationalen und
antifaschistischen Krieges aktiv nutzen. Es ist unerlässlich, dass die Arbeiterklasse als
entscheidender politischer Faktor eine konsistente nationale Verteidigung und
einen unermüdlichen
Antifaschismus gegen ihre Klassengegner durchsetzt. Nach der Phase der Demütigung und Ausbeutung Russlands in
den 1990er Jahren ist die Arbeiterklasse sich ihrer Errungenschaften bewusst – sie hat viel zu verlieren. Zugleich muss sie sich der Tatsache
bewusst sein, dass der Krieg unter Führung einer
Bourgeoisie geführt wird, die
eigene Klasseninteressen verfolgt. Die entscheidende Aufgabe besteht also
darin, diesen Krieg nicht nur passiv zu erdulden, sondern aktiv in eine
revolutionäre Richtung
zu lenken: von einem rein nationalen Verteidigungskrieg hin zu einem Krieg, der
die Grundlagen des Kapitalismus selbst erschüttert.
Die Implementierung dieser politischen Maßnahmen bietet unbestreitbare
Vorteile, die primär der
nationalen Bourgeoisie zugutekommen. Diese hat ihren Einfluss gestärkt und ihren Handlungsspielraum
erheblich erweitert. Gleichzeitig sind die Fortschritte zur nationalen Unabhängigkeit, die Russland erzielt hat,
auch den Volksmassen zugutekommen, und diese Errungenschaften werden durch die
laufenden Militäraktionen bewahrt.
Die Werktätigen in
Stadt und Land sehen sich nicht mehr dem alten Doppeljoch einheimischer und
ausländischer Ausbeuter ausgeliefert – diese veränderte Realität ist von entscheidender Bedeutung für ihre Existenzbedingungen. Genau
hier liegt die Dialektik des gegenwärtigen
Kampfes: Die Bourgeoisie mag sich bereichern, aber sie kann die
antiimperialistische Bedeutung des Krieges nicht auslöschen. Darum ist es für Marxisten-Leninisten notwendig, die
fortschrittlichen Elemente zu stärken, ohne
die Klassengegensätze zu
vergessen.
Der Sieg der NATO muss verhindert werden
Ein Sieg der NATO bedeutet gleichzeitig einen Sieg des ukrainischen Faschismus. Solch ein Ausgang würde nicht nur die Ukraine in die Fänge imperialistischer Unterdrückung zurückführen, sondern auch eine erneute Ausbeutung Russlands durch die westlichen Kräfte nach sich ziehen. Das internationale Kräfteverhältnis würde sich in signifikantem Maße zugunsten des Imperialismus verschieben. Die vollständige Wiederherstellung der Kontrolle Kiews über die umstrittenen Gebiete und die Rückkehr zu den Grenzen von 2013 würde dem westlichen Block erhebliche wirtschaftliche und vor allem politische Stärke verleihen, eine Intensivierung der Militarisierung nach sich ziehen, die Sanktionen verschärfen und die geopolitische Polarisierung vertiefen. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation hat zu Recht auf folgende Notwendigkeit hingewiesen: „Es ist dringend notwendig geworden, die Provokateure in Kiew zum Frieden zu zwingen und die Aggressivität der NATO zu zügeln. Nur die Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine wird den Völkern Russlands, der Ukraine und ganz Europas nachhaltige Sicherheit garantieren.“ (Erklärung des Präsidiums des ZK der KPRF)4
Ein NATO-Sieg würde sowohl für die Arbeiterklasse im Westen als auch im Osten gravierende negative Konsequenzen nach sich ziehen: steigende Rüstungsausgaben, eine Verschiebung des politischen Klimas nach rechts und eine verstärkte Repression gegen linke und antiimperialistische Bewegungen.
Chancen der Multipolarität
Darüber hinaus muss die Frage nach der Rolle einer multipolaren Weltordnung im Kontrast zur herrschenden westlichen Dominanz betrachtet werden. Der Aufstieg von BRICS-Strukturen, insbesondere der New Development Bank (NDB), bietet die Möglichkeit, Finanzierungen und Investitionen jenseits des Dollar-Systems und der damit verbundenen Auflagen von IWF und Weltbank zu organisieren. Die NDB selbst erklärt, ihr Ziel sei es, „Mitgliedsstaaten dabei zu helfen, Infrastruktur- und nachhaltige Entwicklungsprojekte zu finanzieren, ohne die Bedingungen traditioneller westlicher Kreditgeber zu akzeptieren“ (NDB Annual Report 2023)5. Für zahlreiche Staaten des Globalen Südens bedeutet dies eine signifikante Verminderung der Erpressbarkeit durch westliche Geldgeber, bessere Kreditkonditionen und damit potenziell mehr Handlungsspielraum für soziale und infrastrukturelle Projekte.
Politisch eröffnet eine
multipolare Ordnung neuen diplomatischen Spielraum: Staaten können Sanktionen umgehen, sich in
internationalen Foren unabhängiger präsentieren und Bündnisse jenseits der NATO schmieden.
Die BRICS-Erweiterungen, wie der Beitritt von Ägypten, Äthiopien,
Iran, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten im Jahr 2024,
belegen, dass immer mehr Länder nach
Alternativen zu westlich dominierten Strukturen suchen (BRICS Johannesburg II
Declaration, 2023)6. Militärisch könnte die verstärkte Kooperation zwischen Russland,
China und anderen Ländern die
Abschreckung gegenüber
westlichen Interventionen erhöhen und so
sowohl kurzfristig als auch langfristig den Raum souveräner politischer Entscheidungen
erweitern.
Die Rolle Chinas
Im BRICS-Bündnis hat
China als sozialistischer Staat mit einer zunehmend planwirtschaftlichen
Struktur eine besondere Rolle. Die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) betont,
dass ihr Modell auf dem „Sozialismus
chinesischer Prägung“ basiert, der eine prägende Rolle
in der Entwicklung des Landes spielt und gleichzeitig eine alternative Form der
gesellschaftlichen Organisation gegenüber dem
westlichen Kapitalismus darstellt. China nutzt seine wirtschaftliche Stärke und seine Position in BRICS, um
multipolare Strukturen zu stärken und den
globalen Einfluss der westlichen Imperialisten zu begrenzen. Es muss jedoch
betont werden, dass auch China in dieser Phase kapitalistische Widersprüche in sich trägt: Trotz einer planwirtschaftlichen
Grundstruktur existiert ein stark gelenkter Staatskapitalismus, der unter den
Bedingungen internationaler Konkurrenz und Kapitalakkumulation operiert.
Aus antiimperialistischer Perspektive birgt China sowohl Chancen
als auch Herausforderungen für die globale
Arbeiterbewegung. Einerseits demonstriert es, dass sozialistische Entwicklung möglich ist und eine wirkliche
Alternative zum westlichen Imperialismus darstellt; andererseits ist es unerlässlich für progressive Kräfte, eine kritische Haltung zu
bewahren und die Notwendigkeit einer Überwindung
aller kapitalistischen Elemente zu betonen, um den Sozialismus voranzubringen.
Diese Entwicklungen sind jedoch durch gewisse Ambivalenzen
gekennzeichnet. BRICS stellt keinen sozialistischen Block dar, sondern besteht
hauptsächlich aus kapitalistischen Staaten,
in denen sowohl eine Kompradoren- als auch eine nationale Bourgeoisie
existiert. Eine Abkehr von der westlichen Hegemonie bedeutet nicht zwangsläufig eine Rückkehr zur Arbeiterkontrolle oder zu
sozialistischer Transformation. Autoritäre Tendenzen
und die Bereitschaft, unabhängige
Gewerkschaften und linke Bewegungen zu unterdrücken, sind sowohl in Russland als auch in Indien, wie auch im
Westen, fest verankert. Zudem können
nationalistische Politiken, die in einer multipolaren Welt an Gewicht gewinnen,
die internationale Solidarität innerhalb
der Arbeiterklasse gefährden.
Für die
internationale Arbeiterbewegung ist die strategische Bedeutung dieser
geopolitischen Verschiebungen daher nicht darin zu finden, sich blind auf die
Seite einer der Großmächte zu stellen, sondern vielmehr die
neu entstehenden Widersprüche und Freiräume aktiv zu nutzen. Eine multipolare
Welt kann kurzfristige Vorteile bringen, wie etwa eine größere ökonomische Unabhängigkeit vom
Westen, diplomatische Alternativen und mehr Handlungsspielraum für Befreiungsbewegungen, aber nur,
wenn die Arbeiterklasse ihre politische Autonomie bewahrt und diese Freiräume konsequent für ihre eigenen Ziele nutzt. Taktische
Allianzen gegen imperialistische Aggressionen können notwendig sein, sollten jedoch stets mit einer klaren
antikapitalistischen Perspektive verbunden bleiben. Wie Lenin mahnte, tragen
alle imperialistischen Mächte im Kern
den gleichen Charakter: Sie repräsentieren das
monopolkapitalistische Weltsystem. Das langfristige Ziel muss folglich immer
die Überwindung dieses Systems sein, nicht
lediglich eine Verschiebung zugunsten einer anderen Bourgeoisie.
Trotz aller berechtigten Kritik an den autoritären Entwicklungen und
kapitalistischen Widersprüchen in
Russland und anderen BRICS-Staaten unterstütze ich aus
revolutionärer Sicht die
multipolare Weltordnung, die von diesen Staaten gemeinsam mit anderen
BRICS-Mitgliedern aufgebaut wird. Diese multipolare Struktur schwächt die unangefochtene Dominanz des
westlichen Imperialismus, insbesondere der NATO und der G7, die seit
Jahrzehnten Kriege, Sanktionen und Ausbeutung orchestrieren. Eine solche
multipolare Ordnung eröffnet neue
geopolitische Räume und
Handlungsspielräume für unterdrückte Völker und Staaten, verringert die Abhängigkeit vom US-Dollar und von westlichen Finanzinstitutionen und
könnte auf diese Weise das Kräfteverhältnis auf globaler Ebene zugunsten antiimperialistischer Kräfte verschieben. Gleichermaßen bleibt klar, dass diese
multipolare Weltordnung nur als ein Zwischenschritt betrachtet werden kann: Die
ultimative Befreiung der Arbeiterklasse sowie der unterdrückten Massen erfordert die vollständige Überwindung des imperialistischen Weltsystems und die Errichtung
einer sozialen Ordnung, in der das Proletariat die politische Macht innehat und
die Produktionsmittel kollektiv verwaltet werden.
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